Der Expressionismus ist keine homogene kunstlerische Bewegung und zeugt nicht von einem einheitlichen Programm oder von verbindlichen Grundsatzerklarungen. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, ein geschlossenes Bild des Expressionismus zu entwerfen und den Vorgang der poetischen Neuorientierung nachzuzeichnen, indem die Auseinandersetzung des fruhen Gottfried Benns mit der klassischen Moderne in seinem Gedicht Der junge Hebbel untersucht und analysiert wird. Benn versucht darin, die eigene Ausgangslage der expressionistischen Avantgarde zu reflektieren und in imaginaren Dialogen, in denen er in die Rolle des werdenden jungen Dichters Hebbel hineinschlupft, die Entmachtung der dominierenden literarischen Vatergeneration, des Asthetizismus um die Jahrhundertwende, zu erproben, bis er sich aufgrund der eigenen Lebensrealitat der Ablosung vergewissern kann. Hebbel wird zu diesem Zweck von Benn vereinnahmt und dementsprechend zu einem authentischen Dichtervorbild stilisiert, das mit der eigenen Biographie eindrucksvoll die Notwendigkeit von ethischer Fundierung der Kunst rechtfertigt, was besonders in der Schlussstrophe deutlich zum Ausdruck kommt. Aus der Idee, die Aggressivitat der Welt in seinem Herz und Blut umschmelzen zu mussen (“die Welt starrt von Schwertspitzen./ [...] / Jede muß ich, Waffenloser,/ In meinem Blut zerschmelzen”, V. 22-25), ist dann eine unausgesprochene Folgerung zu ziehen, namlich sie zu Lyrik umzuschmelzen. So endet das Gedicht mit einem poetologischen Selbstbekenntnis des Autors, das zugleich auch als ein Programm der Absage an das tradierte Literaturverstandnis zu lesen ist.