Nach Klatt (2005) ist jede Anwendung, die innerhalb des Wortlautes einer Norm liegt, Auslegung, und wenn die Anwendung über den Wortlaut hinausgeht, ist sie Rechtsfortbildung. Darauf basierend wird in der vorliegenden Arbeit versucht zu zeigen, dass die Sprachwissenschaft bei der Gesetzesauslegung eine wichtige Rolle spielt. Juristen nehmen bei der Anwendung einer Norm sprachwissenschaftliche Theorien nicht so ernst, obwohl sie die grammatische Auslegung als einen der vier Auslegungscanones ansehen, zu denen außerdem die systematische, die historische und die theologische Auslegung gehören. Der Ausdruck “grammatische Auslegung”ist jedoch nicht passend, weil man nicht nur Syntax, sondern auch Semantik und Pragmatik benötigt, um eine sprachliche Zeichenkette zu analysieren. In den 90er Jahren gab es unter den Strafrechtlern in Korea eine heftige Diskussion über die Auslegung des § 170 Abs. 2 des koreanischen Strafgesetzbuches (kStGB). Die Mehrheit der Richter des obersten Gerichts und die meisten Strafrechtler waren der Meinung, dass der Paragraph kein Problem für die Verurteilung einer der fahrlässigen Brandstiftung Beschuldigten beinhaltet. Angesichts dieser Tatsache hat Kim (2003) gezeigt, dass § 170 Abs. 2 des kStGB so falsch formuliert ist, dass die Beschuldigte nicht bestraft werden kann. Sein Argument wird heute wiederum von der rhetorischen Seite kritisiert. Der vorliegende Beitrag widerlegt diese Kritik, indem er erklärt, wovon die Auslegung ausgehen sollte, welche Rolle die Grammatik dabei spielt und wann die rhetorische Begründung in die Anwendung eingeführt werden kann. Zum Schluss wird den Richtern und den Gesetzgebern vorgeschlagen, dass der Paragraph aufgrund seiner unglücklichen Formulierung verbessert werden sollte.