Diese Arbeit untersucht Bolls Roman Billard um halbzehn unter dem Aspekt seines sozialokologischen Denkens. Die Sozialokologie ist eine Verbindung der Soziologie mit der Okologie. Sozialokologen sehen die okologische Krise als das Resultat der Herrschaftsgier des Menschen an. Nach ihnen wird die heutige okologische Krise wesentlich dadurch ausgelost, dass der Mensch und die Natur vom Menschen unterdruckt und beherrscht werden. Deswegen soll die ganze Menschheit umgewalzt werden, um diese okologische Krise zu uberwinden.
Heinrich Boll meint, dass der Mensch und die Umwelt durch das Wachstums- und Profitdenken zerstort werden. Insbesondere werden die herrschenden Klassen in der verdinglichten Welt manipuliert und korrumpiert. Boll insistiert auf der Wachstumsbegrenzung und der Verweigerung gegenuber der Leistungsgesellschaft, um eine profitlose und klassenlose Gesellschaft zu bilden. Also wunscht er sich eine religios gepragte humanistisch-sozialistische Welt, in der der Mensch und die Natur friedlich zusammenleben konnen. In diesem Sinne konnen die Gedanken Bolls an die Sozialokologie anknupfen.
Im Roman Billard um halbzehn greift Boll die Realitat der 50er Jahre, das Einfach-Vergessen-Wollen der Vergangenheit, die Profitgier der Konsumgesellschaft und die damit zusammenhangende Zerstorung der Menschen und der Umwelt auf. Er stellt die drei Generationen der Architektenfamilie Fahmel dar. Die Fahmels leben außerhalb der Zeit und damit der Wirklichkeit. Sie protestieren gegen die Klassengesellschaft, in der Kulturschatze viel wichtiger als das Leben der machtlosen Menschen bewertet werden.
Am 80. Geburtstag des alten Famel verandern sich alle Familienmitglieder. Sie erleben die bewusstseinsverandernde Wirkung ihrer neuen Einstellung zur Vergangenheit als Befreiung. Die Fahmels finden zur Harmonie miteinander und grunden eine neue familiare Gemeinschaft, die auf “geistiger Verwandschaft” beruht. Der alte Fahmel nimmt den verwaisten Holtelboy Hugo zum Enkelkind und den von den Nazis unterdruckten und gefluchteten Freund Roberts, Schrella, zum Sohn. Es ist die Verwirklichung der “Menschwerdung des Menschen” durch den Aufbau einer neuen Familienstruktur, der kleinsten sozialen Gemeinschaft. Nach der Lehre der Bergpredigt - alle Menschen sind Bruder -, die im Roman oft zur Sprache kommt, etabliert Boll eine neue Gemeinschaft als Grundform des Menschseins unabhangig von Blutsverwandtschaft. Verzicht auf Macht, Verzicht auf Herrschaft und wechselseitige Anerkennung zwischen den Menschen fuhren so zur Bruderlichkeit. In diesem Roman verwirklicht Boll also eine Gemeinschaft, in der “der Mensch dem Menschen mit Liebe begegnet und mehr in Bruderlichkeit und Solidaritat verwurzelt ist als in Blut und Boden”. Diese Gemeinschaft ist ein Produkt, das sich aus dem sozialokologischen Denken Bolls ergibt.