Im vorliegenden Aufsatz wird untersucht, wie und mit welcher Intention der Schriftsteller Hesse die Biografie des historischen Gautama Buddha ver?derte und den Aspekt der Erleuchtung neu reflektierte. Hesses Modifikationen, an denen Einfl?se aus dem Buddhismus, Hinduismus und Taoismus ebenso abzulesen sind wie Bezugnahmen auf philosophische Positionen Nietzsches und Schopenhauers, kann man im Gro?n und Ganzen in drei Punkten zusammenfassen. Erstens ver?derte der Autor die Lebensstufen Siddharthas und verlegte die Phase der weltlichen Erlebnisse bei Kamala und Kamaswami hinter die Phase der geistlichen ?ungen bei den Brahmanen und Samanen. Dadurch erreicht er, dass den individuellen Erlebnissen viel gr秤eres Gewicht gegen?er den geistigen oder geistlichen einger?mt wird. Gleichzeitig wird im Roman ein exemplarischer Individuationsprozess betont, in dem Hesse zum Ausdruck bringt, dass keinem die Erl?ung durch Lehre, sondern nur durch Erleben zuteil wird. Zweitens wird eine Sohn-Episode hinzugef?t, in der die grenzenlose Liebe der Hauptfigur zu ihrem Sohn verdeutlicht wird - was auf die Liebe als der gr秤ten Begierde der hiesigen Welt verweist. Im Roman erlernt Siddhartha dabei den Wert des spielerischen Lebens der sogenannten Kindermenschen, der normalen Menschen, sch?zen, die er zuvor als wertlos und sinnlos verachtete hatte. Drittens zeigt Siddharthas Erwachen am Fluss das Ideal einer Einheit, in der die Vielheit des Lebens nicht ausgeschlossen, sondern eingeschlossen ist. Gemeinsam liegt diesen Ver?derungen zugrunde, dass, anders als bei den altindischen oder buddhistischen Vorlagen, Hesse insbesondere den Erscheinungen und Erlebnissen gro?s Gewicht einr?mt. Insofern stellt die Vollendung Siddharthas bei Hesse nicht eine L?ke im ewigen Kreislaufs von Sansara dar, sondern sie tritt als Ideal der Anerkennung einer pluralen Einheit in Erscheinung. Es handelt sich dabei um Hesses lebenslange Thematisierung der Achtung und des Respekts vor der Vielheit des Lebens.